
Ursprünglich hatte ich für den heutigen Tag geplant, weiterhin Prag zu besichtigen und gegen 18:00 Uhr nach Bratislava (Pressburg) weiterzufahren. Doch mein Plan sollte sich nun ändern, und zwar — man glaubt es kaum — wegen Johannas Kindergeburtstagsfeier am Tag vor meiner Abreise. Daran anschließend zeigten unsere eigentlich weißen IKEA Stuhlbezüge nämlich Schokoladenflecken, und nachdem ich die Waschmaschine dann versehentlich auf 60°C statt auf 40°C gestellt hatte, halb zwischen Aufräumen, Abendessen und Koffer packen, teilte mir Sandra in einer Grußnachricht am vorigen Tag auf meinem Handy nebenbei mit, dass sie nun nicht mehr passten, es in Deutschland nur noch braune für je 10 EUR gäbe, in Österreich immerhin noch beige. Dank des mobilen Internets ließ sich schnell herausfinden, dass IKEA in Pressburg noch 52 weiße Bezüge für je 5 EUR vorrätig hatte, dass die Fahrt vom Bahnhof Bratislava mit Bus Nummer 61 nur 19 Minuten dauern sollte und dass man für die IKEA Haltestelle seinen Wunsch auszusteigen per Halteknopf ankündigen muss. Es war also alles geklärt und ich entschloss mich, schon sechs Stunden früher abzureisen, um meinen Großeinkauf noch am selben Tag erledigen zu können. Und weil es gerade so schön war und meine Reisezahnpasta zur Neige ging, fand ich noch schnell heraus, dass die Zahnpasta von LIDL weiterhin bei Stiftung Warentest sehr gut abschneidet, plante meinen Fußweg zurück zum Bahnhof an LIDL vorbei und sorgte für Nachschub. Mit der Zufriedenheit eines erfolgreichen Schnäppchenjägers erreichte ich dann meinen Zug und verließ nach noch nicht einmal 24 Stunden Prag.

Die Strecke nach Pressburg führte quer durch Tschechien, von Böhmen nach Mähren, aber auch an diesem Tag hatte ich mit dem Wetter kein Glück, denn in der Böhmisch-Mährischen Höhe haben sich Schlechtwetterwolken verfangen und es war durchweg neblig und schneite bzw. regnete. Aber in der 1. Klasse im Zug war es dennoch recht gemütlich. 1. Klasse? Ja, ich hatte mich nicht verirrt, sondern mich in diesem Jahr für ein Interrail-Ticket 1. Klasse entschieden, da ich aufgrund fehlender Nachtzugverbindungen auf meiner Strecke deutlich länger tagsüber unterwegs sein werde und mir dieser Umstand ein wenig Komfort Wert erschien. In der jetzigen Jahreszeit, außerhalb der Hauptsaison, wäre das im Nachhinein wohl nicht nötig gewesen – denn der Zug war recht leer, auch in der 2. Klasse. Immerhin wurde mir kostenlos eine tschechische Tageszeitung angeboten.
Ich beschäftigte mich also während der Fahrt mangels Sehenswürdigkeiten draußen erneut mit der Optimierung meines Solitär-Löse-Programms vom letzten Jahr drinnen und überquerte so, natürlich ohne es zu merken, irgendwann im Laufe des Tages die Hauptwasserscheide Europas, jenseits derer das Wasser der Flüsse in die andere Richtung fließt, in meinem Fall also nicht mehr Richtung Nordsee, sondern Richtung Schwarzes Meer.
Wir hielten schon recht bald außerplanmäßig in Moravany, was mir zunächst nicht aufgefallen ist. Nach einiger Zeit ertönten jedoch Lautsprecherdurchsagen im Zug, erst sehr deutlich auf tschechisch, dann durch lautes Knistern und leiser Stimme quasi unhörbar auf englisch. Ich erkundigte mich deshalb bei der Zugbegleiterin, die mich irgendwie an Nina erinnerte, die Assistentin von Götz Alsmann in der Sendung „Zimmer Frei“. Sie erklärte mir, dass es ein technical problem mit der engine gäbe, es aber in 20 Minuten weiter gehen würde. Wie zu erwarten war, korrigierte sie sich 20 Minuten später und erklärte mir und den anderen Fahrgästen, dass nun eine neue Lok angefordert wäre, die in ca. 60 Minuten käme. Wir könnten im Zug bleiben oder aber in fünf Minuten in einen anderen umsteigen. Der würde aufgrund unserer Panne außerplanmäßig dort halten, um gestrandete Fahrgäste mitzunehmen, führe allerdings nicht nach Bratislava, sondern nach Wien. In der Hoffnung, auf der Strecke nach Wien in Brünn (Brno) oder Lundenburg (Břeclav) einen früheren Anschluss für mich zu finden, stieg ich um. Ich fand auf der weiteren Fahrt mit meiner DB Navigator App heraus, dass ich tatsächlich in Břeclav in einen Zug aus Warschau umsteigen könnte – planmäßig hätte ich dazu knappe 4 Minuten Zeit. Aufgrund des außerplanmäßigen Halts in Moravany hatten wir allerdings 7 Minuten Verspätung. Ich fragte die neue Zugbegleiterin, ob mein Anschlusszug ein paar Minuten warten könnte, aber sie beruhigte mich und erklärte, dass auch der verspätet sei, um ca. 20 Minuten, ich würde ihn also in jedem Fall erreichen. In Břeclav, kurz vor dem Aussteigen, stand sie zufällig neben mir, erinnerte sich wohl an meine Frage und berichtete, dass mein Anschluss aus Warschau nun 40 Minuten verspätet sei — es gäbe aber noch einen verspäteten Zug aus Prag, bei dem die Lokomotive ausgetauscht worden wäre, der sei jetzt vermutlich eher da. So war es dann auch — immerhin konnte ich mir in Břeclav während der Wartezeit bei kaltem „Hamburger“ Pieselwetter kurz die Füße vertreten und in einem Café auf dem Bahnhofsplatz einen Snack kaufen.
Als ich in Bratislava ankam, war ich statt der geplanten vier Stunden also gut fünfeinhalb unterwegs. Meinen Koffer gab ich im Bahnhof bei der Aufbewahrung ab, denn ich hatte ja noch einen Kurztrip mit dem Bus zu IKEA vor und gelangte an mein Ziel, ohne den Halteknopf gedrückt zu haben. Tatsächlich gab es dort ausreichend passende Stuhlbezüge, und statt der benötigten 8 entschied ich mich, 15 zu kaufen — um den Rest für spätere Missgeschicke im Keller zu lagern oder sie bei EBay gewinnbringend zu vertickern.
Der anschließende Weg mit meinem Koffer vom Bahnhof zum Hotel dauerte ca. 20 Minuten und war neben dem Weg zum Bahnhof in Prag die längste Zeit, in der ich mich an diesem Tag körperlich bewegt habe. Er führte am slowakischen Präsidentenpalast vorbei, vor dem gerade ein Reporter in eine Fernsehkamera sprach, vermutlich über die komplizierte politische Situation des Landes nach Ausgang der Parlamentswahl zwei Tage zuvor.
