Marseille war der zweitletzte Halt meiner Reise, an dem ich zwei Nächte verbrachte und somit einen kompletten Tag für Sightseeing nutzen konnte. Bei sonnigem Wetter aber wie angekündigt bei zunehmendem Wind begann ich meine Stadtbesichtigung mit einem Spaziergang zur „Notre Dame de la Garde“, einer auf einem Hügel südlich des alten Hafens trohnenden Kirche, einem der Wahrzeichen Marseilles, die auch „die gute Mutter“ genannt wird.
Mein Weg führte mich durch nette, typisch französische Straßen mit viel Altbauhäusern, die auch ohne Probleme in der großen Schwesterstadt Paris hätten sein können und die aufgrund der Hanglage manchmal auf einer Seite ein Stockwerk mehr besaßen als auf der anderen. Oben auf dem Hügel angekommen, war es bereits fast stürmisch und ich war froh, in der Kirche nur das Pfeifen des Windes zu hören und ihn nicht zu spüren. Ich hatte allerdings draußen einen tollen Blick auf Marseille inklusive Hafen, vorgelagerter Inseln, der Provence im Hintergrund und dem Mittelmeer, also auf all das, auf das die gute Mutter selbst blicken kann.

Ich wählte einen anderen Weg bergab, um zum Verkehrsknotenpunkt „Castellane“ zu gelangen, denn von dort aus wollte ich mit dem Bus aus der Stadt heraus fahren, um eine kleine Wanderung zu machen, inspiriert von den 10 top Sehenswürdigkeiten Marseilles im Internet. Auch Castellane hatte trotz der Funktion als Verkehrsknotenpunkt durchaus ein wenig Charme: Es gab hübsche Blumen-Verkaufsstände und einige Restaurants entlang der Straße (aber auch dort war alles auf der Speisekarte teuer – und Bouillabaise gab es dort gar nicht). Von Castellane aus fuhr mein Bus zum Universitätscampus Luminy, der südlich außerhalb der Stadt liegt, nahe am Meer und vollständig im Grünen.
Von dort begann ich meinen Weg durch den Calanque Nationalpark mit wirklich tollen Aussichten auf steile Felsen und türkisblaue Buchten in einer fjordähnlichen Landschaft. Aufgrund des Sturms traute ich mich fast nicht, das Stativ meiner 360°-Kamera auszufahren aus Angst, eine Böe könnte es mir aus der Hand reißen – aber es gelang mir, trotzdem ein Panoramafoto mit Blick auf die Berge und den Calanque de Morgiou zu machen – das befindet sich allerdings noch auf meiner 360°-Kamera, zu sehen ist hier ein Ausschnitt, den ich mit meinem Handy fotografiert habe.

Meine kleine Wanderung führte weiter entlang eines geschützten Weges ohne Starkwind – und bei Sonnenschein dufteten die Kiefern und erinnerten mich an Sommerurlaub. Bergab ging es zum nächsten Calanque, nämlich dem Calanque de Sugiton mit weiteren traumhaften Ausblicken, unter anderem auf „Le Torpilleur“, einer kleinen nadelartigen Felseninsel.
Auf dem Rückweg ging es entsprechend wieder bergauf, aber er war weniger anstrengend als aufgrund des Hinwegs befürchtet. Nach der Rückfahrt vom Universitätscampus mit dem Bus in die Stadt, machte ich am alten Hafen unweit meiner Unterkunft Pause, und zwar in der Bar, in der im Film „Tatsächlich… Liebe“ Jamie Aurelia auf portugiesisch einen Heiratsantrag macht. Als ich ein Beweisfoto machte, wurde ich auch gleich vom Barkeeper angesprochen („Are you taking a photo because of ‚Love Actually‘?“) – das machte er während meines Aufenthalts bei anderen Gästen bestimmt noch fünf weitere Male und die Bar war nicht sehr voll – er schien also sehr stolz zu sein. Das Ende meiner Pause verbrachte ich dann etwas unromantisch mit der Buchung einer Busfahrt von Montpellier nach Barcelona, denn ich wurde per E-Mail ein paar Stunden zuvor informiert, dass wegen des Streiks meine gebuchte Bahnfahrt gestrichen worden sei. Dieser Umstand ist natürlich sehr ärgerlich, denn ich hatte meine Hotels unweit der Bahnhöfe gebucht, die Bahnstrecke wäre zwischen Frontignan und Adge offenbar spektakulär auf einem kleinen Damm verlaufen und die reine Fahrzeit des Busses ist 90 Minuten länger… und ich hatte gehofft, nach den letzten beiden Osteuropareisen endlich mal wieder ausschließlich mit der Bahn unterwegs zu sein.
Da ich noch etwas Zeit hatte, ging ich weiter vom alten Hafen zum Palais Longchamps, immer entlang breiter und quirliger Chausseen. Der Weg war schön und erinnerte mich erneut an Paris. Vom Palais aus überblickte man ebenfalls die Stadt und ihre Kirchtürme, allen voran natürlich die „Notre Dame de la Garde“. Auf meinem Rückweg machte ich dann noch einen Abstecher zum Gebäude des Museums der Zivilisation in Europa – einem futuristischen Bauwerk, das man über eine lange stahlträgerartige Brücke erreicht. Zu dem Zeitpunkt schaute zwischen den Wolken kurz vor ihrem heutigen Untergang noch kurz die Sonne heraus und sorgte so für eine wirklich malerische Kulisse.

Auf dem Weg zurück zu meiner Wohnung stellte ich fest, dass sich nach so viel Gelatsche meine Füße langsam bemerkbar machten.