15.03.2016: Zagreb – Belgrad

Meine letzte Bahnreise war gleichzeitig die längste – planmäßig dauert die Fahrt von Zagreb nach Belgrad 6,5 Stunden. In Deutschland hatte ich bereits einen Sitzplatz reserviert, allerdings nur zweiter Klasse, denn laut Auskunft im Reisezentrum und Beschreibung der Verbindung im Internet würde der Zug keine 1. Klasse mitführen. Natürlich fuhr er dann doch mit einem Waggon erster Klasse in den Bahnhof ein, und so konnte ich mir einen Platz in der Nähe einer Steckdose aussuchen. Die benötigte ich nämlich, um meinen Laptop während der Fahrt aktiv betreiben zu können: Im Rahmen meines Solitärspiel-Projekts habe ich nach Ankunft in Zagreb den Laptop über Nacht dazu angeleitet, alle Lösungen des Spiels jeweils in einzelnen Dateien zu dokumentieren, um anschließend die mit den wenigsten „Spielzügen“ herauszusuchen. Am nächsten Morgen war mein Laptop jedoch nicht mehr zu gebrauchen und mit den bis dahin erstellten 29 Millionen Lösungsdateien überfordert. Sie zu löschen wurde zum Problem, denn für Bordmittel schien der Arbeitsspeicher nicht auszureichen. Ich musste deshalb ein extra Löschprogramm schreiben – das funktionierte zwar gut, aber benötigte mehr Zeit als die vergangene Nacht.

Sinnloser Wagenstandsanzeiger Zagreb
Sinnloser Wagenstandsanzeiger auf dem Bahnhof Zagreb, hiernach sind einige Wagen abgekoppelt, andere zusammengestoßen.

Einen Teil der Fahrt über regnete es, und ein gelegentlicher Blick aus dem Fenster zeigte Felder, grüne Wiesen und kleine Dörfer, so wie es sie sehr ähnlich auch ländlichen Gegenden Deutschlands gibt. Insofern verlief die Fahrt relativ unspektakulär. Nur ein Sitznachbar schräg hinter mir störte ein wenig, denn ihm war offenbar langweilig, jedenfalls schielte er häufig in meine Richtung und auf meinen Bildschirm. Als er sich irgendwann seiner Schuhe entledigte, zog ein Odem an Verwesung in meine Nase, und nachdem sich der Mief verzogen hatte, öffnete er eine Dose Fanta und füllte sie nach ein paar Zügen mit irgend etwas Hochprozentigem auf. Nun ja.

Wir überquerten die Grenze nach Serbien. Ich verließ also die EU, bekam einen Stempel in meinen Pass, mich erwartete kyrillische Schrift und ich war gespannt, ob ich tatsächlich die Grenzzäune sehen konnte, die in den Medien gezeigt wurden. Nein, mir ist kein Zaun aufgefallen. Im ersten Halt Шид (Šid) sah ich dann vom Zug aus tatsächlich zwei Flüchtlingsfamilien mit Kindern, die das Treiben auf dem Bahnhof beobachteten. Und auf der vergebenen Suche nach freiem WLAN während des Halts entdeckte ich einen Hotspot von „SOS Childrens Village“. Ich dachte an ein kurzes Video, das ich gestern über „Spiegel Online“ gesehen hatte und das Aufnahmen einer Frau in Syrien mit versteckter Kamera zeigte. Darin unterhielt sie sich kurz mit einem Taxifahrer, der ihr von angedrohten Peitschenhieben erzählte, sollte er eine Frau ohne Begleitung mitnehmen, und es enthielt Ausschnitte, in denen ein junger Mann auf einem Marktplatz zu sehen war, kurz vor seiner öffentlichen Exekution von ein paar IS-Leuten mit Maschinengewehren. Ich fragte mich, wie gestört man wohl sein muss, um seinen Lebenssinn im Terror zu suchen und mir fiel erneut ein, dass es vor ca. 70 Jahren die Nazis unter uns Deutschen waren, die ähnlich verblendet Angst und Schrecken in der Welt verbreitet haben und, bevor sie gestoppt wurden, in weit mehr Staaten einmarschieren konnten als – glücklicherweise – der Islamische Staat heute. Damals sind Verfolgte auch aus dem Deutschen Reich geflohen. Wurden für sie auch irgendwann auch die Grenzen dicht gemacht? Ich denke nicht, wobei trotz der Parallelen solche Vergleiche natürlich immer heikel sind, denn dazu sind die heute mit den Flüchtlingen verbundenen Probleme andere als damals. Außerdem schweife ich ab…

Überquerung der Save bei Belgrad
Überquerung der Save bei Belgrad

Kurz vor Belgrad wurde die Gegend dann recht ärmlich, die Fahrt begann mich an meine Strecke von Bukarest nach Constanța im letzten Jahr zu erinnern – es gab Müll neben den Gleisen, Bauruinen und nicht gedämmte Häuser, die offenbar bewohnt waren. Als ich kurz vor dem Bahnhof Belgrad die Save überquerte, dämmerte es bereits.

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