Unser vollständiger Tag in Wien begann mit einem Frühstück im Hotel, während dessen wir und die anderen Gäste vom Inhaber des Hotels begrüßt wurden. Tatsächlich war es der gleiche Mann, der uns vor 19 Jahren an der Rezeption empfing. Er konnte sich natürlich nicht an uns erinnern, bestätigte allerdings unsere Schilderungen von einer Plastikduschkabine im Zimmer direkt neben dem Kleiderschrank und schien ebenso froh wie wir heute, dass die Zimmer nach und nach renoviert wurden und ein eigenes Bad mit Toilette haben. Tatsächlich war unser Zimmer ein wenig kitschig, aber passend stilvoll eingerichtet, inklusive Himmelbett!
Die erste Station unseres Besichtigungsprogramms, von denen wir einige seinerzeit bereits zu zweit besichtigt hatten, war das Hundertwasserhaus. Auf dem Weg dorthin im Bahnhofszentrum der Station „Wien Mitte“ passierten wir einen Smoothiestand, und ich konnte dem Angebot der Sorte „Green No More“, einer Kombination aus Weißkohl, Brokkoli, Spinat und Apfel, einfach nicht widerstehen… sie erinnerte mich zudem entfernt an eine ähnliche Zusammenstellung aus dem Film „Undercover Brother“. Johanna, neugierig wie sie ist, hat ihn zunächst mit Genuss mehrfach probiert, dann allerdings sofort mit „Ich mag den nicht!“ abgelehnt, nachdem ich ihr die Namen der Zutaten offenbarte. Lediglich den Schaum konnte sie nicht mir alleine überlassen.
Mein Brokkoli-Weißkohl-Spinat-Apfel Smoothie
Das Hundertwasserhaus war wie schon beim letzten Mal beeindruckend anzuschauen. Johanna interpretierte sogar einige Details neu, wie das Fahrradhäuschen („Ein Zelt!“) und freute sich über die goldenen Verzierungen und Spiegel in der Fassade, so dass sie mit Sandras Unterstützung beschloss, das Haus mit nach Hause zu nehmen.
Unser Spaziergang ging weiter über den innerstädtischen Donaukanal zum Prater, denn Johanna hatte sich bereits seit dem Morgen darauf gefreut, mit dem Riesenrad zu fahren. Obwohl es diesig war und der Blick von oben deshalb nicht ganz so weit reichte, entdeckten wir den Stephansdom, die angrenzenden Berge und die Donau. Nur Johanna, der wir zu Beginn aus unserer Gondel die Streben und Drahtseile des Rades zeigten, war nach einer halben Umdrehung doch ein wenig etwas verdutzt und fragte uns plötzlich, wo denn das Riesenrad sei. Wir konnten sie allerdings mit einem Hinweis auf das gegenüberliegende Fenster beruhigen — es war noch da und wir waren noch drin.
Selfie in Wiens historischen Riesenrad im Prater
Am Nachmittag haben wir dann zu dritt Sandras Großtante Friedl besucht, mit der Sandra und ihre Familie trotz der verwandschaftlichen Ferne recht eng verbunden ist. Sie kannte Johanna noch nicht persönlich — und umgekehrt — und Friedls anfängliche Ungeduld („Johanna, zeig dich mal, nun komm doch einmal her!“) spiegelte sich erwartungsgemäß in Johannas anfänglicher Schüchternheit wider („Versteckst du dich hinter Mama?“). Nach einiger Zeit taute sie dann auf, und es war schön mit anzusehen, wie die beiden gegen Ende bei einem Unterschied von knapp 90 Jahren miteinander spaßten… wohl einer der besondersten Momente der diesjährigen Reise!
Mein Reiseplan sah vor, bis auf meinen Zwischenstopp in Prag stets nach zwei Tagen eine Stadt wieder zu verlassen. So auch heute. Es war ein besonderer Tag, denn er brachte nicht nur kräftigen Sonnenschein, sondern mit ihm begann der Familienabschnitt meiner Reise: Zwei bzw. drei Tage Wien mit Sandra und Johanna.
Ich brach morgens rechtzeitig vom Hotel auf, um mir am Bahnhof noch ein Frühstücksbrötchen kaufen zu können. Nach meinem Fußweg hatte ich bis zur Abfahrt des Zuges noch entspannte 15 Minuten Zeit, aber sie wurden schon recht bald recht hektisch, denn in allen Kiosks in oder vor der Bahnhofshalle gab es die gleiche Art eingepackter belegter Pappbrötchen, von denen die durchscheinende, ranzig aussehende Remoulade oder die ausgetrockneten, dunklen Mortadellaränder ihr hohes Alter verrieten.
Letztendlich landete ich bei einem kleinen Kiosk auf dem Bahnsteig und gönnte mir einen Becher löslichen, sehr heißen Kaffee und einen frisch in der Mikrowelle zubereiteten pappigen Hotdog — beides musste ich dann recht schnell und mühsam einhändig nebst Gepäck in den bereits eingefahrenen Zug befördern.
In Wien traf ich dann bis auf eine halbe Stunde zeitgleich mit Sandra und Johanna ein. Nach dem Einchecken im „Hotel Kugel“, in dem Sandra und ich bereits vor 19 Jahren unseren ersten gemeinsamen Urlaub zu zweit verbracht haben, wartete ich an unserem vereinbarten Treffpunkt, einem arabischen Café nebenan, nur ein paar Minuten auf unser Wiedersehen. Schon wenig später schlenderten wir mit Laufrad ausgerüstet am Wiener Museumsquartier vorbei in Richtung Hofburg, Altstadt und Stephansdom und freuten uns über uns zu dritt in Wien und das schöne Wetter. Nach dem Bummel durch den „Graben“ und einer späten Mittagspause bei Starbucks hatten wir noch genügend Zeit, zum Stadtschloss Belvedere zu spazieren und uns den Schlossgarten mit Blick auf das obere und das untere Schloss anzusehen. Auf die Ausstellungen von Gustav Klimt im Inneren haben wir verzichtet, auch, weil sie Johanna mit gerade mal 4 Jahren wohl ein wenig gelangweilt hätten. Dafür haben wir ihr erklärt, dass das Schloss für einen Prinzen und eine Prinzessin gebaut wurde. So wollte sie auch nur nach ein wenig Überzeugungsarbeit aus der Eingangshalle wieder nach draußen, denn sie fragte, ob der Prinz und die Prinzessin denn nicht bald wieder kämen..
Unsere Prinzessin im Schlossgarten Belvedere
Nach unserer Rückkehr ins Hotel war es schon bald Abendessenszeit und wir kehrten beim gerade mal zwei Häuser entfernten „Schnitzelwirt“ ein. Eigentlich haben wir eine große Touristenattraktion wie das Hofbräuhaus erwartet, aber zu unserem Erstaunen sprachen viele benachbarte Gäste einen österreichischen Dialekt. Die Schnitzel am Nachbartisch sahen legendär aus und waren tatsächlich fast so groß wie die Teller, auf denen sie lagen. Sandra entschied sich für vegetarische Käsespätzle, Johanna für ein Berner Würstchen mit Pommes und ich für ein Knoblauchschnitzel, nachdem ich in der Speisekarte vergeblich nach den so berühmten Kalbsschnitzeln gesucht habe… und obwohl die Käsespätzle dann doch mit Speck angemacht waren und mein dreigeteiltes Schnitzel nicht ein so riesiges war, dafür aber ziemlich fettig, so war es doch sehr gemütlich dort, so dass Johanna, müde vom Reise- und Besichtigungstag ohne Mittagsschlaf, schon bald die Augen zufielen. Nach unserer Rückkehr ins Hotel zogen Sandra und ich dann noch weiter in das nahegelegende Café 7*Stern, das uns wie die gesamte Gegend um das Hotel sehr positiv an Hamburg-Ottensen erinnerte und das für einen Werktag doch erstaunlich gut besucht war. Viele Gäste schienen allerdings Studenten zu sein, und so war es kein Wunder, dass im 7*Stern und den benachbarten Kneipen und Cafés Frühstück bis 16:00 Uhr angeboten wurde.
Der erste Tag in Pressburg begrüßte mich mit Regen — es schien weiterhin so, als würde sich eine Schlechtwettezone schwer entschließen können, sich zügig von meinem Reisegebiet zu entfernen. Insofern beschloss ich nach meinem ersten Erwachen erst einmal, weiter zu schlafen. Gegen späten Vormittag verließ ich dann das Hotel in Richtung Altstadt, um zu frühstücken. Ich merkte allerdings bald, dass sie recht übersichtlich ist, durchstreifte sie kreuz und quer und landete letztendlich in einer kleinen Bäckerei wieder fast neben dem Hotel.
Altstadt in Pressburg
Eigentlich hatte ich auf Sonnenschein zum Fotografieren gehofft, aber die Motive, auf die ich anschließend auf dem Hauptplatz traf, wirkten nicht nur ein wenig trüb, sondern wurden auch durch eine Baustelle ein wenig eingeschränkt. Insofern machte ich mich schon bald auf zum Wahrzeichen der Stadt, der Burg Bratislava, die sich auf einem Hügel neben der Altstadt erhob. Von dort konnte man einen Blick auf die Donau, die Brücke des Slowakischen Nationalaufstands „Most SNP“ mit ihrer Ufo-artigen Aussichtsplattform am südlichen Ende, sowie die zahllosen Plattenbauten jenseits der Brücke werfen. Einige von ihnen waren bunt angemalt, aber sie vermochten den tristen Eindruck aus der Ferne nicht zu ändern. Der nördliche Teil des Schlossgeländes war durch eine weitere Baustelle, der zweiten des Tages, leider nicht betretbar. So wanderte ich den Schlossberg bald wieder hinab zum unter der „Most SNP“ gelegenen kleinen und etwas dreckigen Busbahnhof, denn ich hatte noch einen Besuch der gut 20 Minuten entfernt gelegenen Burgruine in Devín geplant. Ich entschied mich für die nächste Verbindung von Plattform 6, entdeckte auf den teils recht schlecht lesbaren Schildern allerdings nur 1, 2, 3 und 5. Deshalb machte ich ein Foto vom Fahrplan, auf dem die Plattform ausgewiesen war, und zeigte es einer nicht englisch sprechenden Kioskverkäuferin. Sie riet mir aus irgend einem Grund zunächst zu einer späteren Verbindung von Plattform 5, verstand allerding irgendwann meine Frage richtig und wies mir per Handzeichen den Weg um zwei Pfeiler in Richtung Straße mit der netten Beschreibung „Tak tu — tak tak“.
Die Fahrt nach Devín verging schnell und ich erreichte dort nach einem kleinen Spaziergang die Burgruine ca. 30 Minuten bevor sie schloss. Der eigentlich fotogene Hauptteil der Ruine, den ich von Bildern aus dem Internet kannte, ließ sich allerdings nicht fotografieren, denn vor einem Großteil befand sich, welch Wunder, die dritte Baustelle des Tages in Form von ein paar Leitern, über die in grellen Warnwesten gekleidete Bauarbeiter kübelweise Mörtel nach oben beförderten. In ein paar Monaten muss es in der Gegend um Bratislava großartig aussehen! So langsam quälte sich allerdings ein Hauch Sonnenschein durch die Wolken und ein paar Minuten später belohnte mich ein etwas hellerer Blick von der Ruine über die Donau und die March nach Österreich.
Blick von der Burg Devín nach Österreich
Trotz meines späten Frühstücks war ich wieder so rechtzeitig zurück im Hotel, dass ich wie geplant die Hotelsauna nutzen konnte. Anschließend landete ich wie am Tag zuvor, nur ein wenig entspannter, im „Bratislavská reštaurácia“, in dem es lokale Gerichte wie Gulasch mit Brot und Piroggen mit Sauerkraut gab.
Ursprünglich hatte ich für den heutigen Tag geplant, weiterhin Prag zu besichtigen und gegen 18:00 Uhr nach Bratislava (Pressburg) weiterzufahren. Doch mein Plan sollte sich nun ändern, und zwar — man glaubt es kaum — wegen Johannas Kindergeburtstagsfeier am Tag vor meiner Abreise. Daran anschließend zeigten unsere eigentlich weißen IKEA Stuhlbezüge nämlich Schokoladenflecken, und nachdem ich die Waschmaschine dann versehentlich auf 60°C statt auf 40°C gestellt hatte, halb zwischen Aufräumen, Abendessen und Koffer packen, teilte mir Sandra in einer Grußnachricht am vorigen Tag auf meinem Handy nebenbei mit, dass sie nun nicht mehr passten, es in Deutschland nur noch braune für je 10 EUR gäbe, in Österreich immerhin noch beige. Dank des mobilen Internets ließ sich schnell herausfinden, dass IKEA in Pressburg noch 52 weiße Bezüge für je 5 EUR vorrätig hatte, dass die Fahrt vom Bahnhof Bratislava mit Bus Nummer 61 nur 19 Minuten dauern sollte und dass man für die IKEA Haltestelle seinen Wunsch auszusteigen per Halteknopf ankündigen muss. Es war also alles geklärt und ich entschloss mich, schon sechs Stunden früher abzureisen, um meinen Großeinkauf noch am selben Tag erledigen zu können. Und weil es gerade so schön war und meine Reisezahnpasta zur Neige ging, fand ich noch schnell heraus, dass die Zahnpasta von LIDL weiterhin bei Stiftung Warentest sehr gut abschneidet, plante meinen Fußweg zurück zum Bahnhof an LIDL vorbei und sorgte für Nachschub. Mit der Zufriedenheit eines erfolgreichen Schnäppchenjägers erreichte ich dann meinen Zug und verließ nach noch nicht einmal 24 Stunden Prag.
Frühstück mit Blick auf die Moldau
Die Strecke nach Pressburg führte quer durch Tschechien, von Böhmen nach Mähren, aber auch an diesem Tag hatte ich mit dem Wetter kein Glück, denn in der Böhmisch-Mährischen Höhe haben sich Schlechtwetterwolken verfangen und es war durchweg neblig und schneite bzw. regnete. Aber in der 1. Klasse im Zug war es dennoch recht gemütlich. 1. Klasse? Ja, ich hatte mich nicht verirrt, sondern mich in diesem Jahr für ein Interrail-Ticket 1. Klasse entschieden, da ich aufgrund fehlender Nachtzugverbindungen auf meiner Strecke deutlich länger tagsüber unterwegs sein werde und mir dieser Umstand ein wenig Komfort Wert erschien. In der jetzigen Jahreszeit, außerhalb der Hauptsaison, wäre das im Nachhinein wohl nicht nötig gewesen – denn der Zug war recht leer, auch in der 2. Klasse. Immerhin wurde mir kostenlos eine tschechische Tageszeitung angeboten.
Ich beschäftigte mich also während der Fahrt mangels Sehenswürdigkeiten draußen erneut mit der Optimierung meines Solitär-Löse-Programms vom letzten Jahr drinnen und überquerte so, natürlich ohne es zu merken, irgendwann im Laufe des Tages die Hauptwasserscheide Europas, jenseits derer das Wasser der Flüsse in die andere Richtung fließt, in meinem Fall also nicht mehr Richtung Nordsee, sondern Richtung Schwarzes Meer.
Wir hielten schon recht bald außerplanmäßig in Moravany, was mir zunächst nicht aufgefallen ist. Nach einiger Zeit ertönten jedoch Lautsprecherdurchsagen im Zug, erst sehr deutlich auf tschechisch, dann durch lautes Knistern und leiser Stimme quasi unhörbar auf englisch. Ich erkundigte mich deshalb bei der Zugbegleiterin, die mich irgendwie an Nina erinnerte, die Assistentin von Götz Alsmann in der Sendung „Zimmer Frei“. Sie erklärte mir, dass es ein technical problem mit der engine gäbe, es aber in 20 Minuten weiter gehen würde. Wie zu erwarten war, korrigierte sie sich 20 Minuten später und erklärte mir und den anderen Fahrgästen, dass nun eine neue Lok angefordert wäre, die in ca. 60 Minuten käme. Wir könnten im Zug bleiben oder aber in fünf Minuten in einen anderen umsteigen. Der würde aufgrund unserer Panne außerplanmäßig dort halten, um gestrandete Fahrgäste mitzunehmen, führe allerdings nicht nach Bratislava, sondern nach Wien. In der Hoffnung, auf der Strecke nach Wien in Brünn (Brno) oder Lundenburg (Břeclav) einen früheren Anschluss für mich zu finden, stieg ich um. Ich fand auf der weiteren Fahrt mit meiner DB Navigator App heraus, dass ich tatsächlich in Břeclav in einen Zug aus Warschau umsteigen könnte – planmäßig hätte ich dazu knappe 4 Minuten Zeit. Aufgrund des außerplanmäßigen Halts in Moravany hatten wir allerdings 7 Minuten Verspätung. Ich fragte die neue Zugbegleiterin, ob mein Anschlusszug ein paar Minuten warten könnte, aber sie beruhigte mich und erklärte, dass auch der verspätet sei, um ca. 20 Minuten, ich würde ihn also in jedem Fall erreichen. In Břeclav, kurz vor dem Aussteigen, stand sie zufällig neben mir, erinnerte sich wohl an meine Frage und berichtete, dass mein Anschluss aus Warschau nun 40 Minuten verspätet sei — es gäbe aber noch einen verspäteten Zug aus Prag, bei dem die Lokomotive ausgetauscht worden wäre, der sei jetzt vermutlich eher da. So war es dann auch — immerhin konnte ich mir in Břeclav während der Wartezeit bei kaltem „Hamburger“ Pieselwetter kurz die Füße vertreten und in einem Café auf dem Bahnhofsplatz einen Snack kaufen.
Als ich in Bratislava ankam, war ich statt der geplanten vier Stunden also gut fünfeinhalb unterwegs. Meinen Koffer gab ich im Bahnhof bei der Aufbewahrung ab, denn ich hatte ja noch einen Kurztrip mit dem Bus zu IKEA vor und gelangte an mein Ziel, ohne den Halteknopf gedrückt zu haben. Tatsächlich gab es dort ausreichend passende Stuhlbezüge, und statt der benötigten 8 entschied ich mich, 15 zu kaufen — um den Rest für spätere Missgeschicke im Keller zu lagern oder sie bei EBay gewinnbringend zu vertickern.
Der anschließende Weg mit meinem Koffer vom Bahnhof zum Hotel dauerte ca. 20 Minuten und war neben dem Weg zum Bahnhof in Prag die längste Zeit, in der ich mich an diesem Tag körperlich bewegt habe. Er führte am slowakischen Präsidentenpalast vorbei, vor dem gerade ein Reporter in eine Fernsehkamera sprach, vermutlich über die komplizierte politische Situation des Landes nach Ausgang der Parlamentswahl zwei Tage zuvor.
Fernsehreporter vor dem Präsidentenpalast in Bratislava
Meine diesjährige Bahnreise nach Osteuropa begann ähnlich wie die im Jahr 2015, nämlich viel zu früh und mit dem ersten Ziel Berlin. Allerdings hatte ich dieses Mal keinen dienstlichen Termin dort, sondern durfte gemütlich im Zug sitzen bleiben und dösen. Nach dem nächsten Halt in Dresden führte mich meine Strecke durch die sächsische Schweiz, eine wie immer beeindruckend schöne Landschaft — allerdings aufgrund schlechtem Wetters leider nicht sehr fotogen.
Basteibrücke bei Rathen vom Zug aus gesehen, inklusive Oberleitung
Erfreut habe ich festgestellt, dass wir die tschechische Grenze ohne Passkontrolle überquerten – nach den Nachrichten der letzten Wochen hätte mich eine Kontrolle ehrlich gesagt nicht gewundert. Weiter ging es durch die böhmische Schweiz entlang der Elbe. Gegen Mittag erreichte ich dann Prag, die erste Station meiner Reise, die ich hauptsächlich als Zwischenstopp gewählt habe, zumal ich sie bereits zwei Mal besucht habe. Mein Hotel lag direkt an der Moldau, nördlich vom Altstädter Ring, und auf dem Fußweg dorthin war ich gespannt, ob sich seit meinem letzten Besuch vor 13 Jahren viel getan hat. Und ja, ich denke, 2003 lagen bestimmt noch nicht drei Starbucks Filialen allein am Wenzelsplatz. Damals fand ich auch nicht an fast jeder Ecke auf Absinth spezialisierte Spirituosenläden, Shisha-Utensiliengeschäfte und Thai-Massage-Studios… alles nicht sehr typisch für Prag. Außerdem konnte ich mich nicht daran erinnern, dass es damals schon so viele Trdelník-Stände gab. Das Gebäck wird dort als lokale Spezialität angeboten, allerdings kann man im Internet lesen, dass es weder aus Prag noch aus Tschechien, sondern aus der Slowakei stammt. Stattdessen fehlten die kleinen Verkaufswagen von damals, an denen die wirklich typischen Karlsbader Oblaten verkauft wurden und die ich eigentlich erwartet habe — sogar in den Supermärkten, die ich diesbezüglich aufsuchte, gab es nur abgewandelte Varianten mit Schokolade. Naja, immerhin haben sie es offenbar geschafft, als geschützte geographische Angabe eingetragen zu werden, sogar gegen Einspruchs Deutschlands und Österreichs. Vielleicht lag das Fehlen der Oblatenverkäufer ja auch am Wetter: Obwohl meine App auf dem Handy nur 10% Regenwahrscheinlichkeit anzeigte, fing es bereits kurz nach dem Einchecken in meinem Hotel an zu regnen, und das sollte sich später am Nachmittag noch häufig wiederholen. Selbstverständlich hatte ich für meinen Spaziergang zum Schloss Hradčany und weiter zur Prager Altstadt nicht meine Regenjacke mit, denn ich nahm naiverweise an, mit dem ersten Schauer seien die 10% bereits abgegolten. Stattdessen trat die 10%ige Wahrscheinlichkeit eher an 70% des Nachmittags ein, und zwar zu dann 100%… aber Statistik ist manchmal eben schwer zu durchdringen. Jedenfalls landete ich so nach meiner kleinen Tour ein wenig durchnässt auf der zugigen Karlsbrücke, als es bereits dämmerte und sich immerhin kurz die Sonne blicken ließ.
Blick von der Karlsbrücke in Prag zum Hradčany
Noch müde vom frühen Aufstehen und ein wenig fröstelig beschloss ich, dass sich die Straßen Prags bei Nacht wohl nicht viel seit meinem letzten Besuch geändert haben, und kehrte ins Restaurant Velryba in der Prager Neustadt ein, in dem Sandra und ich bereits 1999 waren und das wir als Studenten sehr gemütlich fanden. Es gab noch wie damals Spaghetti mit Tomatensauße und Risotto, und mir fiel auf, dass Prag auch noch heute eine günstige Stadt ist, zumindest ein wenig außerhalb der Touristenläden. Restaurants, in denen ein großes Bier 1,90 € kostet, sucht man in Hamburg eher vergebens.
Jede Reise endet nun mal mit ihrem letzten Tag, so auch meine Tour durch Osteuropa. Bevor ich allerdings gegen Mittag vom Hotel zum Flughafen aufbrach, habe ich die Zeit vormittags für einen kurzen Besuch des Pools genutzt, sowie für ein Beweisfoto am Strand – schließlich wollte ich mein Stativ nicht umsonst mitgenommen haben.
Beweisfoto: Ich war hier
Meine Verbindung nach Hamburg via Istanbul brachte mich genau genommen in das sechste Land meiner Reiseroute, der Türkei, wenn auch nur geografisch, denn rechtlich betrachtet habe ich vermutlich auf dem Flughafen nicht einmal türkischen Raum betreten, denn der beginnt ja erst jenseits der Passkontrolle. Zum Flughafen gelangte ich mit dem Taxifahrer vom Tag zuvor – nicht dem korpulenten, sondern dem von der Hinfahrt nach Konstanza, mit dem ich mich ganz gut unterhalten konnte. Er hat sich beim Gespräch gestern gleich angeboten, mich heute zum Flughafen zu fahren, und kam auch prompt mit seinem Privatwagen und einer Ausrede, die Filter seines Taxis müssten jetzt plötzlich erneuert werden. So habe ich ihn eben schwarz bezahlt. Mit einerseits ein wenig Wehmut und andererseits Freude auf Sandra und Johanna und die kleine Welt des Alltags in Hamburg hob ich dann erst nachmittags in Konstanza ab und anschließend in Istanbul. Die Route war der meiner Bahnreise sehr ähnlich, nur verlief sie rückwärts – denn ich flog über Bulgarien, Rumänien, Ungarn, die Slowakei und Polen gen Norddeutschland.
Wissenschaftliche Artikel enden ja meist mit einem Abschnitt „Conclusions“, hm, was wären denn meine?
Dank VISA-Karte und überall vorhandenem Internet ist Reisen wirklich sehr einfach geworden.
Na gut, diese Erkenntnis hatte ich auch schon vor 8 Jahren, sie ist nicht wirklich neu. Ich probiere es erneut:
Osteuropa macht sich
Osteuropa ist Europa
Da, wo ich war, wirkt Transsylvanien eher deutsch als vampir
Reisen mit der Bahn hat was
Zu guter Letzt: Der Geschmack der rohen Gemüsezwiebel wird hierzulande stark unterbewertet.
…und was das Ende meines Urlaubs angeht: Glücklicherweise hätte ich ja bereits für Sonntag ein Rückflugticket!
Mein letzter voller Urlaubstag sollte ein recht ruhiger werden. Verkehrstechnisch habe ich nun mal Konstanza als letztes Ziel meiner Reise gewählt habe, einen Ort, der außerhalb der Feriensaison im Sommer hauptsächlich für seinen Hafen bekannt ist, den größten am Schwarzen Meer. Somit startete der Tag mit einem späten Frühstück und anschließendem Werkeln an meinem zweiten Rätsellöseprogramm – denn der automatische Löser des Solitär-Brettspiels erfuhr bereits in Budapest seinen Durchbruch.
Alles für mich – Hotelfrühstück in der Nebensaison
Auch meine kleine Weltreise 2009 endete mit einem Lauf am Meer, damals in Venice Beach. Um an diese Tradition anzuschließen, wollte ich heute am Schwarzen Meer den Strand entlang joggen, der durch den Regen der vergangenen Tage fest genug war. Zugegebenermaßen war die Kulisse nicht wirklich umwerfend: Auf der Uferseite passierte ich neben noch geschlossenen Hotels ein paar Bauruinen und hässliche Wohnblocks, hinter mir im Norden ragten Schornsteine von Kraftwerken in den blauen Himmel und vor mir sah ich in weiter Ferne die ebenfalls nicht ganz so hübschen Hochhäuser von Konstanza. Aber die Sonne schien, und so konnte ich mich beim Laufen überzeugen, dass das Schwarze Meer tatsächlich schwarz ist! Kleiner Scherz am Rande.
Leider musste ich nach meiner Rückkehr eine Stunde warten, bis die Sauna öffnete, deretwegen ich mich für das Hotel entschieden habe, und so war ich erst gegen 17:30 Uhr bereit, noch einmal in die Stadt zu fahren und die Abendsonne für ein paar Fotos zu nutzen. Aus Zeitgründen habe ich mir dafür ein Taxi bestellt, denn mit dem Kleinbus zum Bahnhof und von dort mit einer anderen Linie in die Altstadt hätte meine Fahrt vermutlich bis kurz vor Sonnenuntergang gedauert. Der Ausflug hat sich allerdings gelohnt: Konstanza besitzt seit gut einem Jahr einen sanierten Altstadtkern. Direkt daneben befindet sich am Meer das Wahrzeichen der Stadt: Ein leerstehendes historisches Casinogebäude.
Cazino Constanța
Der Rezeptionist im Hotel riet mir vor meiner Abfahrt, in der Altstadt vorsichtig zu sein – wenn man sich außerhalb der Saison als Tourist zu erkennen gäbe, würde man doch schnell belästigt. Sein Rat war wohl ein wenig übervorsichtig – außer einem einzigen Bettler, an dem ich vorbeiging und von dessen Erscheinung es in Hamburg mehr als einen gibt, traf ich hauptsächlich andere rumänische Touristen, die sich ebenfalls die Altstadt ansahen. Die sich anschließende Haupteinkaufsstraße sah, zum gesamten Stadtbild passend, ein wenig heruntergekommen aus. Ich ging an vielen Baustellen, geschlossenen Läden und verwitterten Häusern vorbei. Kein Deichmann, kein LIDL – die gibt es in Konstanza vermutlich in einem der großen Einkaufszentren, die das Fahrtziel vieler Buslinien sind. Aber ich fand hier und da auch ein paar Restaurants, vor allem Fastfood-Imbisse, aber nach ein paar Minuten auch eins mit rumänischer Küche, für das ich mich an meinem letzten Abend entschied. Weil ich kein rumänisch sprechen kann, bin ich offenbar auch dem Kellner aufgefallen, denn er hielt mich für einen Seemann und fragte, ob ich per Schiff hier sei.
Anschließend ging es dann wieder per Taxi zurück ins Hotel. Der Taxifahrer war so korpulent, dass ich mich fragte, wie er überhaupt aus dem Auto käme, ohne es in Einzelteile zu zerlegen. Wir unterhielten uns über Taxipreise in Deutschland und seine Pläne, die Nebensaison einfach in London als Taxifahrer zu verbringen, und auch er vermutete, dass ich per Schiff hier sei. Vermutlich wäre mein Eindruck von Konstanza im Sommer ein völlig anderer – Touristen, die im Februar nach Timmendorfer Strand fahren, haben bestimmt ebenfalls den Eindruck, dass in dem Ort ein wenig tote Hose herrscht.
Heute sollte ich meinen letzten Abschnitt der Reise antreten – meine Fahrt nach Bukarest und gleich von dort weiter nach Konstanza am Schwarzen Meer. Ursprünglich hatte ich überlegt, in Bukarest noch eine Nacht bzw. sogar noch einen Tag zu verbringen, aber ich habe bei meiner ausgiebigen Reiseplanung vorher nicht wirklich etwas entdeckt, was mich von einem längeren Aufenthalt überzeugen konnte. Um ein wenig mehr auszuholen: Eigentlich war Istanbul mein ursprüngliches Endreiseziel für meine Fahrt, so wie das vieler derer, deren Bahn-Reiseberichte durch Osteuropa ich im Internet gefunden habe. Die Bahnstrecke des Bosporus-Express zwischen Bukarest und Istanbul durch Bulgarien wird allerdings derzeit an diversen Stellen erneuert, so dass ich mehrere Male nachts von der Bahn in den Bus hätte umsteigen müssen und umgekehrt – ein etwas anstrengender Abschluss meines Urlaubs, wie ich fand.
Mein drittletzter Tag bestand also aus 5 Stunden Zugfahrt, zunächst von Kronstadt durch die Südkarpaten. Meinen reservierten Sitzplatz am Fenster gab es zwar, er war allerdings belegt, insofern habe ich einen anderen freien Platz im Abteil für mich gewählt, denn es erschien mir ein wenig arrogant, auf englisch die Frau von meinem gebuchten Platz zu vertreiben, zumal sich herausstellte, dass fast alle anderen Reisenden noch nicht mal ihren gebuchten Wagen vorfanden: Meine ein wenig ältere, ebenfalls betroffene Sitzplatznachbarin hat sogar zur Belustigung der anderen Leute im Abteil gleich angedroht, sich beim rumänischen Verkehrsministerium zu beschweren. Auf dem Rest der Fahrt nach Bukarest hat sie weiter das ganze Abteil unterhalten – sie war offenbar weitreichend interessiert, ich verstand nur Wortfetzen wie „Konstantinopel“ und „Byzanz“ aber auch „Galaxie“ und „Sistem Solar“. Beeindruckend auf der Fahrt, neben ihrem Redefluss, waren in jedem Fall noch die Blicke auf die schneebedeckten Südkarpaten und die sich noch in Betrieb befindlichen Skilifte – ja, es ist noch Wintersaison in den Karpaten.
Blick auf die schneebedeckten Südkarpaten
Der Bahnhof in Bukarest wirkte tatsächlich wenig einladend: Die Leute dort wirkten im Schnitt alle ein wenig „abgewrackt“, mit Ausnahme von einigen jungen Touristen mit „Istanbul“-T-Shirts, die offenbar die Bahnersatzverbindung des Bosporus-Express gewählt haben.
Die Fahrt nach Konstanza bescherte mir nun das gleiche Schicksal: Meinen in Kronstadt reservierten Platz gab es nicht und die Nummerierung der vorhandenen Plätze ergab zudem überhaupt keinen Sinn. Ich hatte Platz 36 gebucht, aber auf der einen Seite des Ganges gab es Plätze 31, 32, 34 und 39, auf der anderen 33, 35, 37 und 38, teils mit Aufklebern überklebt. Glücklicherweise war aber doch genug Platz im Zug. Als sich eine andere Passagierin fragend nach ihrem Platz umschaute und ich ihr deshalb gleich erklärte, dass es meinen Platz nicht gäbe ich ich deshalb möglicherweise auf ihrem säße, winkte sie nur gelassen ab und schüttelte wissend den Kopf: „Ah no, well, this is fine“. Ein bekanntes Phänomen?
Auf der Strecke von Bukarest nach Konstanza konnte ich dann, ein wenig wie im Kino, doch einen kurzen Einblick in das ländliche Leben Rumäniens gewinnen: Die Häuser neben den Gleisen waren doch teils wirklich sehr einfach, man sah zwischen ihnen und den Gleisen ab und zu Schäfer mit ein paar Schafen und ein paar Frauen mit Kopftuch entlang schlurfen, ansonsten dort häufig Plastikmüll. Die beiden Highlights der Fahrt waren zum einen die schneebedeckten Karpaten im Norden, die man durch das Fenster noch eine lange Zeit lang sah, sowie die Überquerung der beiden unglaublich breiten Donauarme zwischen Vlașca und Cernavodă.
Der westliche der beiden Donauarme auf meinem Weg nach Konstanza
In Konstanza habe ich mich am Bahnhof nach dem Bus zu meinem Hotel erkundigt, das diesmal nicht fußläufig lag, sondern ein wenig außerhalb im Ferienort Mamaia. Meine Recherchen im Internet vorher haben ergeben, dass ich die Buslinie „Mamaia Estival“ hätte nehmen müsste. Ich war schon damals ein wenig stutzig geworden, weil sich „Estival“ (rumänisch für „sommerlich“) ja eher nach Hauptsaison anhört, zudem waren einige Einträge der „Aktuelles“-Seite der Homepage des Busbetreibers bereits ein paar Jahre alt. Von meiner Busverbindung hatte deshalb auch keiner etwas gehört. Dennoch landete ich nach dem Schildern meines Ziels an der richtigen Haltestelle. Nachdem ich gelernt hatte, dass man dem richtigen herannahenden Bus schnell zuwinken muss, damit er überhaupt hält, habe ich dann beim zweiten Anlauf auch Erfolg gehabt einzusteigen. Mein Mini-Bus der Linie 23 war ein Kleinbus vom Typ „Dolmuş“ und maßlos überfüllt, aber er brachte mich stehenderweise dann doch sicher in mein Hotel, ein Wunder eigentlich, denn der Fahrer hatte während der Fahrt in der einen Hand stets sein Handy am Ohr, in der anderen Hand hielt er ein Bündel Geldscheine fest und fingerte an jeder Ampel damit herum.
Nach dem Einchecken stellte sich heraus, dass ich der einzige Gast war, der das Hotel individuell gebucht hat. Außer mir wohnt derzeit nur eine große Reisegruppe hier, die das Hotel in Beschlag genommen hat. Deshalb war das Restaurant auch exklusiv für diese geschlossene Gesellschaft reserviert. Man bot mir allerdings an, entweder ein zweites Restaurant in einer anderen Etage extra für mich aufzuschließen und mich dort alleine zu bedienen oder mir kostenlos das Essen aufs Zimmer zu bringen. Ich habe mich dann aufgrund der Gemütlichkeit dann doch für letzteres entschieden, so wirklich hungrig war ich nach einem Tag herumsitzen eh nicht.
Die Vorboten des Orkans Niklas, der derzeit in Deutschland fegt, haben dafür gesorgt, dass sich ein Streifen blauen Himmels genau heute über Kronstadt befand und es fast die ganze Zeit sonnig war. Mein Plan für heute war der Besuch des „Dracula“-Schlosses in Törzburg (Bran), das Bram Stoker möglicherweise als Inspirationsquelle gedient haben sollte – zumindest ähnelt sein Erscheinen der Beschreibung im Roman. Sein Buch beschreibt das Schloss ca. 150 km entfernt gelegen, nämlich in den Nordostkarpaten zwischen der rumänischen Stadt Bistritz und der Landschaft Bukowina an der Grenze zur Ukraine. Allerdings gibt es dort kein derartiges Bauwerk – „Schloss Bran“ sollte sich also lohnen.
Der Ort Törzburg wirkt tatsächlich ein wenig klein und verschlafen, mal abgesehen vom herausgeputzten Schloss und den darum gelegenen Cafés. Das Schloss selbst beinhaltete eine Ausstellung und Berichte über dessen Geschichte und die dort ansässigen Herrscher, war aber zugegebenermaßen nicht übermäßig spektakulär. Mindestens gleichwertig war mein anschließender Spaziergang aus dem Ort heraus und einen kleinen Hügel hinauf, von dort aus konnte man nämlich nicht nur das Schloss sehen, sondern auch die nahe gelegenen schneebedeckten Südkarpaten, diesmal bei strahlendem Sonnenschein.
Die Törzburg
Wieder in Kronstadt angekommen, nutzte ich das schöne Wetter, um ein paar Fotos von der hübsch gelegenen Altstadt zu machen. Eigentlich fährt vom Ostrand der Altstadt eine Seilbahn den 450 m höher gelegenen Berg Tâmpa hinauf, aber an der Talstation angekommen erwartete mich eine Absperrung mit einem recht alten Schild, auf dem von einem technischen Defekt berichtet wurde. Da ich aber noch genügend Zeit hatte, habe ich zu Fuß dem ausgeschilderten Aufstieg gemäß den Berg erstiegen und konnte oben das Panorama genießen, auch, wenn sich die Sonne bereits wieder hinter Wolken verabschiedet hatte.
Marktplatz Kronstadt
Mein Abstieg führte mich dann an der recht steilen Nordwand des Berges herunter – keine Sorge, dort gab es Treppen und Geländer – und ich war extrem beeindruckt von mehreren Joggern, die mir von unten entgegen gekeucht kamen und offenbar die gut 400 m hinauf laufen wollten.
In dieser Nacht war Zeitumstellung. Schon wieder? Ja, denn ich überquerte die Zeitzonengrenze, und leider verlor ich erneut eine Stunde. Um ein wenig Schlaf zu bekommen, habe ich am Abend zuvor frühzeitig beschlossen, mich hinzulegen. Ich hatte das Gefühl, gerade eingeschlafen zu sein, als es an der Tür hämmerte: „Passport Control!“. Meine Abteiltür war dreifach verriegelt, und es dauerte tatsächlich ein wenig, bis ich die Kette mit einem ziemlich unhandlichen Bolzen gelöst bekommen habe. Aber die Grenzbeamtin kannte das wohl schon, jedenfalls gab es keinen abfälligen Kommentar. Ein wenig später, ich war gerade wieder eingeschlafen, passierte genau das gleiche: „Passport Control!“. Auf meiner Uhr stand 00:50 Uhr, keine Ahnung, ob nach alter oder neuer Zeit, und mein Kommentar, es sei doch bereits eine Passkontrolle gewesen, beantwortete der Grenzbeamte mit „Nooo… Hungary Hungary, Romania Romania“, während er das Passfoto mit meinem Gesicht verglich. Ich sah bestimmt ziemlich verschlafen aus und nicht meinem Passfoto ähnlich und fragte mich, ob es irgendwann eine EU-Richtlinie geben wird, die nicht-biometrischen Schlaf bei Grenzüberschreitungen verbietet.
Viel zu früh, nämlich um 06:00 Uhr – zwei Tage zuvor wäre es 04:00 Uhr gewesen – musste ich mich bereits fertig machen, denn um 06:30 Uhr sollten wir mein erstes Fahrtziel Hermannstadt (Sibiu) erreichen. Der Schaffner klopfte dann auch 20 Minuten vorher an meine Abteiltür und reichte mir ein kleines Plastiktütchen herein mit meinem Frühstück: Eine Flasche Eistee, eine Packung Butterkekse, eine Frühstücksportion Marmelade und ein Tütchen mit Nescafé. Als ich ihn nach heißem Wasser fragte, schüttelte er den Kopf. Ich musste mir also meinen Kaffee mit kaltem Wasser anrühren – mit viel Zucker schmeckte er zumindest ähnlich wie Eiskaffee.
Der Marktplatz in Hermannstadt
Der Bahnhof in Hermannstadt war klein und es liefen ein paar zwielichtige Gestalten herum, wie wohl auf jedem Bahnhof um diese Uhrzeit. Es gab leider keine Schließfächer, so dass ich mit meinem gesamten Gepäck in die Altstadt gehen musste. Dort hatte auch noch kein Café geöffnet, aber das „Hotel Am Ring“, in dem ich meinen Koffer unterstellen konnte. Es war schon komisch, mitten in Rumänien das Erbe der hier lang ansässigen prägenden Siebenbürger Sachsen zu sehen: Viele Geschäfte und Straßen trugen deutsche Namen, und das Stadtbild wirkte auch recht vertraut. Meine erste vorsichtige Anfrage „English? German?“ im „Café Haller“ eine Stunde später konfrontierte mich allerdings wieder mit der Realität: „English, please.“.
Bei meinem Fotostreifzug durch die Altstadt wurde ich von einem etwas kauzigen älteren Mann angesprochen: Ob ich deutsch spräche. Er erzählte mir – auf deutsch – kurz seine Geschichte: Er sei Luxemburger und mit seiner Familie von Brașov aus mit dem Auto nach Hause aufgebrochen, hier in Sibiu seien sie nur kurz bei McDonalds gewesen, „die Kleine“ hätte versehentlich vergessen, die Autotür zu verriegeln, und so hätte er von drinnen gesehen, wie seine gesamten Wertsachen von ein paar Typen geklaut worden seien. Angeblich war er auch schon bei der Polizei, die hätten ihn an das Luxemburger Konsulat verwiesen, aber dort würde jetzt ein Hotel stehen. Er wollte doch nur nach Hause und fragte mich, ob ich ihn mit dem Auto mitnehmen könnte. Die ganze Geschichte war natürlich völlig unglaubwürdig und ich sagte ihm, dass mir seine Lage sehr leid täte, ich aber nicht mit dem Auto hier sei. Dann fragte er mich, ob ich ihm denn nicht irgendwie helfen könnte, sein Auto hätte kein Diesel mehr und die Kleine hätte ja nur versehentlich die Tür unabgeschlossen gelassen. Ich gab an, dass ich auch kein Geld dabei hätte. „Nein, nein, ich will kein Geld!“, antwortete der Mann gleich, er wolle doch nur weiter nach Hause und ein paar Liter Diesel würden erstmal reichen. Als ich ihm mitteilte, dass ich leider auch kein Diesel dabei hätte, entschuldigte er sich, dass er mich belästigt hätte und ging.
Um 11:00 Uhr fuhr mein Anschlusszug nach Kronstadt (Brașov) durch die Siebenbürger Landschaft. Vom Zug aus konnte ich die südlichen Karpaten sehen, noch mit Schnee bedeckt. Kurz vor dem Bahnhof entdeckte ich dann wieder altbekannte Namen: Hornbach, Deichmann, LIDL.
Einkaufsstraße in Kronstadt
Meine Tripadvisor-App hat ein rumänisches Restaurant in der Altstadt empfohlen, knapp einen Kilometer von meinem Hotel entfernt, und dort ich hatte die Auswahl zwischen diversen Fleischgerichten, inklusive Zunge, Hirn, Hoden und Magen… ich habe mich dann doch für eine Alternative entschieden, obwohl ich eigentlich gerne eine Winzigkeit hier und da probiert hätte.